Vom Dorf mit Einwohnerschwund zum „Golddorf“ und Mutmacher für andere
Für ein Fachmagazin hat Günter Lühning kürzlich einen umfangreichen Bericht über Otersen geschrieben, den wir hier veröffentlichen.
Das zwischen Aller und Heide landschaftlich reizvoll gelegene Dorf Otersen erlebte in den letzten fünf Jahrzehnten eine wechselvolle Geschichte:
- 1965 wurde die Volksschule geschlossen,
- 1972 wurde aus der „Gemeinde Otersen“ eine von 17 Ortschaften der neuen „Gemeinde Kirchlinteln“.
- Das Dorf im Süden des Landkreises Verden wurde vom Strukturwandel in der Landwirtschaft voll erwischt, Handwerker schlossen ihre Betriebe, viele Einwohner wanderten ab.
- Vor 25 Jahren wurde dann mit der Dorferneuerung die Wende eingeleitet, die sich durch Bürgerengagement verstärkte. „Aktive Bürger haben lebendige Dörfer“ und „Eigeninitiative statt Unter-versorgung“ sind nur zwei Zitate in den Vorträgen von Günter Lühning, wenn wieder einmal engagierte Bürger aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt oder Westfalen die „Wissenstransferstelle“ für den ländlichen Raum im „Bundes-Golddorf“ nutzen.
- Nach dem Verlust vieler Arbeitsplätze in Landwirtschaft und Handwerk war die Einwohnerzahl in Otersen bereits von einst 600 auf 420 Einwohner gesunken.
Vor 25 Jahren begann die Dorferneuerung:
900.000 DM Fördermittel des Landes flossen in die Gebäude-Sanierung und in Zukunftsprojekte:
- Das Schulhaus von 1880 wurde saniert und umgebaut. Kindertagesstätte mit Krippen- und Hort-Angebot für heute 40 Kinder sowie ein Sport- und Gymnastikraum für den Sportverein befinden sich in der alten Dorfschule.
- 1994 wurde der Radweg entlang der Landesstraße eingeweiht
- Die Gemeinde kaufte den Dorfplatz und der Sportverein sanierte ein altes Fachwerkhaus. Heute befindet sich hier der Fitnessraum des TSV, dessen Mitgliederzahl durch die neuen Sporträume von 120 auf über 300 stieg.
- 1997 wurde die Solar-Allerfähre vom Heimatverein Otersen eingeweiht. „Mit der Kraft der Sonne und des Ehrenamtes“ beförderten 70 ehrenamtliche Fährleute im Alter zwischen 17 und 70 vom 1. Mai bis 3. Oktober nur an den Wochenenden 100.000 Fährgäste und fördern die „Sanfte Erholung“ zwischen Weser, Aller und Heide.
- 1999 wurde die Dorferneuerung erfolgreich abgeschlossen und die Allerfähre wurde mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet.
Ein Jahr später folgte die nächste Herausforderung und die Ankündigung, dass zum 30. März 2001 der letzte von früher drei Lebensmittelläden geschlossen werden sollte. „Eigeninitiative statt Unterversorgung“ wurde in der Einwohnerschaft zum Motto. Am 6.12.2000 wurde der „Dorfladen – von Bürgern für Bürger“ gegründet und am 1. April 2001 mit einem Fest eröffnet. Nach 10 Jahren zur Miete folgte im April 2011 der Umzug in die eigene Immobilie. Ein 200 Jahre altes Fachwerkhaus wurde von den Bürgern saniert und erweitert. 180 qm Ladenfläche, 70 qm DorfCafé und 135 qm vermietete Wohnung im Dachgeschoss nennen 160 Mitglieder im Dorfladen-Verein jetzt ihr Eigentum. Über 100.000 Euro Eigenkapital und über 5.000 Stunden Eigenleistungen haben die Bürger investiert und genießen jetzt von Montag bis Sonntag Nahversorgung statt „weite Wege zum Einkaufen“.
Fünf Arbeitsplätze für Frauen wurden geschaffen und mit 2.700 verschiedenen Artikeln im Regal bietet der Dorfladen ein Voll-Sortiment sowie viele Dienstleistungen unter einem Dach. Kinder und Jugendliche lernen bei ihren Einkäufen im Dorf den Umgang mit Taschengeld. Senioren können sich täglich selbst und eigenbestimmt versorgen – und längst ist aus dem kleinen Lebensmittel-Markt ein Lebens-Mittelpunkt des Dorfes geworden – kulturelle Angebote im DorfCafé inclusive. Im Oktober will das NDR-Fernsehen mit einem 90-minütigen Dokumentarfilm über das Leben und das Bürgerengagement in Otersen berichten. Über das Dorf, das in der ersten Hälfte der letzten 50 Jahre noch „auf dem Weg zum sterbenden Dorf“ war. Über das Dorf, das dank vieler engagierter Bürger wieder aufblühte und Mutmacher für den ländlichen Raum ist – der aufgrund des Demografischen Wandels vor großen Herausforderungen steht. Die Frage ob sich „Bürgerengagement fürs Dorf lohnt“ beantwortet Günter Lühning mit der Grafik der Einwohnerzahlen Otersens, die den Anstieg vom Tiefstand 420 auf jetzt wieder 510 Einwohner zeigt und der Aussage:
„Aktive Bürger haben lebendige Dörfer“.
2003 schrieb eine Journalistin: „Der Dorfladen war eine riskante Investition, eine die auf Lebensqualität als Rendite spekuliert. Der Laden ist Akupunktur fürs Dorf.
Mit einem gezielten Stich hält er die Gemeinschaftsenergie im Fluss … und alle fühlen sich einander verbunden, in dem Verlangen ihre Heimat lebenswert zu erhalten. Eine Rendite fürs Dorf, die unbezahlbar ist“.
Mehr über das Dorf Otersen, das 2007 Bundessieger bei „Unser Dorf hat Zukunft“ wurde: www.otersen.de