Sturm-Katastrophe 1972: Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Kilometern pro Stunde raste am 13. November 1972 der Jahrhundert-Orkan über Norddeutschland hinweg, verwüste die heimischen Wälder und forderte insgesamt 29 Todesopfer, davon 14 allein in Niedersachsen.
Wie kam es zu diesem gewaltigen und folgenreichen Naturereignis? Auslöser war ein kräftiges Tiefdruckgebietmit relativ warmer Luft über dem Nordatlantik, das über Island auf Kaltluft prallte. Das Seewetteramt Hamburg registrierte mit 955 Millibar den tiefsten Wert seit 1876. Durch die gewaltigen Druckunterschiede drehte sich das Orkantief immer schneller und schwenkte in den frühen Morgenstunden des 13. November 1972 von den britischen Inseln nach Osten.
Über Niedersachsen tobte der Sturm aus Richtung Südwest. In Böen bis Windstärke 13 brauste der Orkan durch die Wälder und heulte um die Dächer. Immer wieder krachten Bäume in den Wäldern um Otersen und auf den Höfen zu Boden. Dachpfannen flogen reihenweise von den Dächern und ganze Dachplatten lösten sich von landwirtschaftlichen Gebäuden und Garagen. Der Aufenthalt im Freien war an diesem 13. November 1972 lebensgefährlich. Höfe, Straßen sowie Wald- und Feldwege waren durch umgestürzte Bäume unpassierbar. An vielen Stellen waren die Überlandleitungen von umstürzenden Bäumen durchtrennt, so dass die Stromversorgung für mehrere Tage unterbrochen war.
Im Landkreis Verden wurde Katastrophenalarm gegeben. In allen Dörfern herrsche der Ausnahmezustand. Die Elektro-Herde bleiben kalt – Glück hatten die Familien mit einem holz-befeuerten Beistell-Herd in der Küche. Die elektrischen Melkmaschinen in den Kuhställen funktionierten nicht. (Vor 50 Jahren gab es noch viele Nebenerwerbslandwirte – oftmals mit bis zu 10 Milchkühen im Stall). Nach alter Sitte musste per Hand gemolken werden. Das elektrische Licht blieb mehrere Tage erloschen. Kerzen sorgten für Helligkeit in den Wohnungen.
Nach dem Jahrhundert-Orkan wurde den Einwohnern deutlich, wie abhängig die Privathaushalte und die landwirtschaftlichen Betriebe im Laufe der Jahrzehnte vom elektrischen Strom geworden waren. Bis zum 15. November gegen 23 Uhr herrschte in Otersen (3 Tage) Stromausfall.
Entlang der Otersener Dorfstraße bot sich ein Bild der Verwüstung. Eine Eiche von Schormairs Grundstück hatte die Scheune auf dem Hof Mügge beschädigt. Allein auf dem Hof Schlöndorf (heute: Prof. Hoffmann und Familie Borchers) sind nach Ermittlungen des Bezirksförsters Hübel 10 Festmeter Pappeln und 25 Festmeter *) Eichen (insgesamt 35 Kubikmeter) ein Opfer des Sturms geworden. Auf Schlöndorf´s Hof lagen die Bäume kreuz und quer durcheinander. Zum Volkstrauertag am 19.11.1972 war die Dorfstraße in Otersen wieder aufgeräumt. Die Hofauffahrt zu Schlöndorf war nach umfangreichen Aufräumarbeiten aber erst am 25. November wieder frei.
Ein Bild der Verwüstung bot sich auch in den Wäldern um Otersen. Sturmholz, soweit das Auge blicken konnte. In den folgenden Jahren wurden in Otersen auch Waldarbeiter aus Jugoslawien eingesetzt, um die Schäden vom 13. November 1972 zu beheben. Bei den Arbeiten in den Wäldern wurden zuletzt die Baumstubben zu Erdwällen zusammengeschoben. Diese erscheinen heute noch als „Deiche“ in den Wäldern und erinnern an den 13. November 1972. G.L.
Quelle: Dorfchronik Otersen, 1998 (Seiten 166 und 167)
*) Festmeter ist ein Raummaß, das als ein Kubikmeter fester Holzmasse definiert ist. Es findet typischerweise Verwendung als Maßeinheit für Rundholz, also in aller Regel nicht weiter verarbeiteter Stammstücke gefällter Bäume.